Kategorie: An(ge)dacht

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 Gedanken grüßt Sie
 Pfarrerin
  Imke Pursche.

Monatsspruch Dezember 2022
Der Wolf findet Schutz beim Lamm, der Panther liegt beim Böcklein. Kalb und Löwe weiden zusammen, ein kleiner Junge leitet sie. Jesaja 11,6

Liebe Leserin, lieber Leser, 

Liebe Leserin, lieber Leser,

das Foto vom Froschkönig im Schnee erinnert mich an eine Begebenheit aus meiner Vikariatszeit, in der es meine Aufgabe war, die Geburtstagsbesuche in einem Pflegeheim zu machen. Ein älterer Herr dort hatte es besonders schwer und machte es allen, die mit ihm zu tun hatten, schwer. Gute Laune hatte der große, kräftige Mann nie. Richtig böse wurde er, wenn keine Himbeer-Marmelade beim Frühstück vorrätig war. Und eine falsche Bewegung beim Waschen – da konnte er handgreiflich werden. Gerne ging keine Pflegekraft in sein Zimmer. Die anderen Bewohnerinnen und Bewohner hielten sich fern von ihm.

Im Advent kam immer eine Märchenerzählerin ins Pflegeheim. Der Speisesaal wurde verdunkelt, Kerzen brannten, die Märchenerzählerin konnte auch Klavierspielen. Dann wurde es ganz still, die Dame setzte sich mit großer Geste auf einen vorbereiteten Stuhl und schlug ihr Buch auf: „In den alten Zeiten, wo das Wünschen noch geholfen hat…“ Da ging noch einmal die Tür auf. Ein kleiner, dunkelhaariger Junge stahl sich hinein. Und er hatte jemanden an der Hand, den er ungeduldig mit sich zu zerren versuchte: der ältere Herr, vor dem alle Angst hatten. Der kleine Junge aber schien keine Angst zu haben vor ihm, seinem Opa, wie eine ältere Dame raunte, die immer alles wusste. Die Märchenerzählerin hielt inne, wartete bis Opa und Enkel auch noch einen Stuhl gefunden hatten. Und viele staunten über den Gesichtsausdruck des älteren Herrn: Friedlich und beinah glücklich sah er aus, wie er da so neben seinem Enkel saß und lauschte.

Wenn jemand das vorher gesagt hätte: „Zur Märchenerzählerin kommt er bestimmt!“ oder ganz prophetisch „Ein kleiner Junge wird ihn hereinführen!“ – derjenige hätte nur Kopfschütteln geerntet. Zu unwahrscheinlich wäre diese Behauptung erschienen, zu sehr gegen die Erfahrung, die die Leute bisher mit dem älteren Mann gemacht hatten.

Und so ist es auch mit dem Spruch für den Monat Dezember vom Propheten Jesaja: „Der Wolf findet Schutz beim Lamm, der Panther liegt beim Böcklein. Kalb und Löwe weiden zusammen, ein kleiner Junge leitet sie.“ Den Kopf schütteln müsste man da doch! Kalb und Löwe passen nicht zusammen. Wie sollte das Lamm den Wolf schützen? Der Panther frisst doch das Böcklein eher als dass er sich danebenlegt. So wie keiner gedacht hätte, dass der aggressive ältere Herr sich lammfromm von einem kleinen Jungen würde irgendwohin führen lassen.

Der Prophet Jesaja und die Menschen seiner Zeit wussten auch, dass diese Worte keine Beschreibung der gegenwärtigen Wirklichkeit sind. Die Menschen zur Zeit Jesajas kannten Krieg und Leid zur Genüge. Das Nordreich Israel wurde 722 vor Christus von den Assyrern blutig erobert und unterjocht. Geopolitische Erwägungen spielten dabei eine Rolle – vor immerhin rund 2700 Jahren war das schon so! Aber der Prophet Jesaja wollte den Israeliten keine Märchen erzählen, er wollte ihnen eine Vision geben, die sie bei Hoffnung hält. Die ihnen vermittelt: Es werden wieder andere Zeiten kommen, auch wenn es im Moment so gar nicht danach aussieht.

Die Sportpsychologie arbeitet schon lange damit, dass Sportlerinnen und Sportler mit der Vision vom geschafften Sprung, vom gelungenen Bewegungsablauf, vom siegreichen Lauf in den Wettkampf gehen. Wir Menschen brauchen Bilder, brauchen Visionen, brauchen eine Idee davon, wie die Zukunft aussehen kann, um jene auch zu erreichen.

Wie jedes Jahr im Advent ist unsere Vision der Heiland und Erlöser, der Friedefürst und Retter der Welt, auf den wir warten. Nicht auf den Froschkönig warten wir, sondern auf den König der Welt, der als kleines Kind in diese Welt kommt, um die Mächtigen, vor denen alle Angst haben, an die Hand zu nehmen und zu führen.

Denn siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer – auch zu uns!

Ihre Pfarrerin Imke Pursche